Recep Tayyip Erdogan hat vom vereitelten Staatsstreich profitiert und ein Referendum für den 16. April angesetzt, beim dem die Verfassung der Türkei neu ausgerichtet werden soll.
Das neue Modell vertraut alle Macht dem Staatschef an. Er wird per Dekret Gesetze erlassen können, den Haushalt festsetzen, den Ausnahmezustand erklären, alle Posten im Staat selbst besetzen, inklusive die der Justiz. Der Präsident wird außerdem Oberbefehlshaber der Armee und der Geheimdienste, während er weiterhin die Parteiführung der AKP beibehält. Jegliche Gegenmacht würde unterdrückt: Die Minister sind nur dem Präsidenten verantwortlich; das Parlament wird zu einer Abfertigungskammer degradiert; der Justiz, inklusive des Verfassungsgerichtes, ihre Unabhängigkeit verweigert. Insgesamt gesehen schafft die neue Verfassung nicht nur die Demokratie ab, sondern auch die Prinzipien, auf denen Mustafa Kemal 1923 die moderne Türkei auf den Ruinen des Osmanischen Reiches errichtete: auf der Laizität, der Trennung von Staat und Kirche. Es entstünde eine islamische Demokratur.
Die Demokraturisierung der Türkei hat für sie selbst ebenso Konsequenzen wie für das internationale System. Die Wirtschaft bricht in dem Moment ein, in dem sie sich von den internationalen Märkten und Finanzen zurückzieht. Die Rezession hat schon Ende 2016 begonnen, aufgrund der geringeren Exporte und 30 Prozent weniger Tourismus. Die Stagflation setzt sich durch, mit einer Inflation von acht Prozent und einer Arbeitslosigkeit, die fast bei zwölf Prozent der aktiven Bevölkerung liegt. Die türkische Lira hat innerhalb eines Jahres 20 Prozent ihres Wertes verloren, und das Kapital flüchtet massiv aus dem Land. Auf internationaler Ebene nimmt die Türkei an den von Russland entwickelten Bemühungen teil, eine Liga der Demokraturen gegen die Demokratien zu kreieren. In Abstimmung mit Moskau und Teheran unterstützt sie eine Aufteilung von Syrien in Einflusszonen und versucht einen Abzug der Vereinigten Staaten aus dem Irak zu erreichen, um so Kurdistan zurückerobern zu können. Sie instrumentalisiert dabei die Flüchtlinge, um so auf die EU Druck machen zu können, und vor allem – nicht ohne Erfolg – auf Deutschland.
Der dreifache Bruch der Türkei mit der Demokratie, dem Westen und der Moderne soll seinen Status gegenüber der Nato und vor allem den europäischen Institutionen klarlegen. Die strategische Position der Türkei, ihre Schlüsselrolle im Mittleren Osten und ihre wachsende Wirtschaft rechtfertigen eine Partnerschaft, die zur Kontrolle gemeinsamer Interessen dient. Die Aufnahme der Flüchtlinge muss durch eine konsequente finanzielle Unterstützung gesichert sein. Andererseits ist für Europa das Verschwinden jeglicher Chancen auf ein gemeinsames Schicksal oder auch geteilte Werte mit der Türkei Grund genug, etwas zu unternehmen und den Beitrittsprozess zur EU zu unterbrechen sowie die Teilnahme am Europarat zu suspendieren. Zwischen einer Demokratie und einer islamischen Demokratur sollte man zu wählen wissen.
Der Autor ist Historiker und regelmäßiger Kolumnist von „Le Figaro“ und „Le Point“.
In Kooperation mit „Lena“. Aus dem Französischen von Bettina Schneider
Cette chronique est publiée simultanément
par sept quotidiens européens