Amerika ist keine Schutzmacht mehr – und die Demokraturen nehmen zu. Die einzige Chance Europas ist, sich mit freundlichen, demokratiebejahenden Nationen wie Indien oder Kanada zu einer neuen Allianz zusammenzutun.
Neunzig Jahre nach dem großen Börsenkrach von 1929 hat Donald Trump einen Handels- und Technologie-Krieg ausgelöst, gegen China, aber auch gegen die Verbündeten der USA, indem er systematisch die Institutionen und Regeln eines universell gewordenen Kapitalismus zerstört. Einhundert Jahre nach dem Vertrag von Versailles organisiert er den unilateralen Rückzug der Vereinigten Staaten vom Rest der Welt und überlässt so den Feinden der Demokratie das Feld. Das ist wie ein diplomatischer und strategischer Shutdown.
Vor allem jedoch ist Donald Trump im Begriff, das zu erreichen, wovon Stalin seinerzeit ohne Erfolg geträumt hatte: den Zerfall der Nato, des Sicherheitsgaranten Europas seit 1949. Mehrfach hat er den Wunsch geäußert, die Vereinigten Staaten aus dem Militärbündnis zurückzuziehen.
Zur Destabilisierung der Nato kommt noch die Denunzierung der Europäischen Union hinzu, die als Feind der Vereinigten Staaten angesehen wird und nicht mehr als das Kind und bester Verbündeter der USA. Und schließlich die Unterstützung des Brexits und der populistischen Bewegungen, die wiederum von Moskau gestärkt werden, um so die europäischen Demokratien zu untergraben und den ganzen Kontinent in seiner Gewalt zu haben.
Donald Trump ist weder ein Zufall noch so etwas wie ein Zwischenspiel. Diese Wende der Vereinigten Staaten zum Nationalismus, Protektionismus und Isolationismus ist dauerhaft und vielleicht sogar unumkehrbar in einer multipolaren Welt, in der sie die Rolle des Anführers verloren haben. Die Vereinigten Staaten werden nicht länger eine wohlwollende imperiale Macht im Dienste der Demokratie sein, ja noch nicht einmal mehr ein Partner oder zuverlässiger Verbündeter. Sie sind kein Garant für Stabilität mehr, sondern ein Risikofaktor.
Daher ist es höchste Zeit für die Demokratien, vor allem in Europa, sämtliche Konsequenzen aus dem Rückzug der Vereinigten Staaten zu ziehen, der die Welt ohne Ordnung und Führung zurücklässt und gleichzeitig den Feinden der politischen Freiheit einen enormen Raum öffnet.
- Die Demokratien haben keinerlei Anlass mehr, das Dollar-Privileg, die Extraterritorialität des Rechts oder die Dominanz der amerikanischen Oligopole, die Gegenleistung für die Sicherheitsgarantie durch die Vereinigten Staaten waren, zu akzeptieren.
- Die Neugestaltung der Globalisierung in regionale Blöcke setzt ein Umdenken der Union voraus bezüglich der wirtschaftlichen, technologischen, steuerlichen und währungspolitischen Souveränität, damit diese nicht zu einer Anpassungsvariablen im Streit zwischen den Vereinigten Staaten und China wird.
- Europa muss rund um die Sicherheit neu aufgebaut werden, da diese mehr denn je Voraussetzung für Entwicklung und Freiheit ist, und sich dabei den Aufbau einer strategischen Autonomie zum Ziel setzen.
- Die langfristige Verteidigungsstrategie der westlichen Demokratien muss einerseits auf der Auflösung der Demokraturen aufgebaut werden, damit sich diese nicht zu einer Achse formieren. Und zugleich muss eine ganz neue Allianz gemeinsam mit den Nationen geschmiedet werden, die sowohl die wirtschaftliche als auch die politische Freiheit anerkennen. Und die – von Europa bis Indien und Japan über Kolumbien und Chile, Kanada, Australien oder Neuseeland – die Geschicke der Welt bestimmen wollen.
Aus dem Französischen von Bettina Schneider.
© Axel Springer SE. Alle Rechte vorbehalten.